Veranstaltung: | Landesparteitag |
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Tagesordnungspunkt: | 1. Anträge |
Antragsteller*in: | LAG Kinder Jugend Familie (dort beschlossen am: 29.03.2021) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 02.04.2021, 18:18 |
F 1: Mehr Zeit für Familien - Zeitbeauftragte für unsere Kommunen
Antragstext
Unsere heutige Lebenswirklichkeit in modernen Gesellschaften ist geprägt von
Stress und Zeitdruck. Um die Lebensqualität der Bürger*innen zu verbessern,
brauchen wir eine Politik, die die „Zeit“ in den Blick nimmt und Maßnahmen
ergreift, um zeitliche Abläufe und räumliche Organisation im Alltag miteinander
abzustimmen.
Wir beantragen, unsere Kommunen dabei zu unterstützen, Maßnahmen zu
implementieren, die eine Entschärfung von Zeitkonflikten und eine gerechtere
Verteilung zeitlicher Ressourcen zum Ziel haben. Hierfür sollen für einen
Zeitraum von 2 Jahren Mittel für ein Aktionsprogramm zu Kommunaler Zeitpolitik
bereitgestellt werden, mit dessen Hilfe regionale Handlungsfelder identifiziert
werden und ein Konzept zur anschließenden Einführung von sog.
Zeitbeauftragten/Zeitbüros in den Kommunen erarbeitet wird. Dies soll auch
finanzielle Anreize enthalten.
Begründung
Die derzeitigen Rahmenbedingungen für Familien zeigen, dass diese Unterstützungsbedarfe haben, um Zeitmangel und -not zu verringern. Die vom Land Rheinland-Pfalz in Auftrag gegebene Prognos-Studie „Zeit für Familien“ hat gezeigt, dass vor allem Eltern mit minderjährigen Kindern angeben, „viel zu wenig Zeit“ zu haben. Um Familien besser unterstützen zu können, müssen verschiedene Akteure effizienter miteinander kommunizieren und passende, unterstützende Angebote schaffen. Die Handlungs- und Steuerungsmöglichkeiten liegen in erster Linie bei den Kommunen. Sie haben bei der Umsetzung zeitpolitischer Aufgaben eine zentrale Stellung, denn sie sind im direkten Kontakt mit den Familien, den Arbeitgebern, der Verwaltung, den Kitas und Schulen, dem ÖPNV sowie vielen anderen Akteuren, die den Zeittakt von Familien bestimmen.
Die Stelle einer*s Zeitbeauftragten hilft den Kommunen, eine Stadtentwicklung voranzutreiben, die sich an der Lebensqualität orientiert, da weniger Zeitstress ein mehr an Lebensqualität bedeutet. Zeitpolitik schafft einen Rahmen, der dem vielschichtigen Zusammenspiel von Menschen in einer Stadt oder Region Rechnung trägt.
Beispiele für Tätigkeitsbereiche von Zeitbeauftragten sind:
Die Einführung gestaffelter Schulanfangszeiten zur Entzerrung des morgendlichen
Verkehrsaufkommens. Eine Änderung der gewohnten Zeitstrukturen ist eine Herausforderung und bedarf einer professionellen Koordination (hier: zwischen den Schulen, den Anbietern des ÖPNV sowie den Eltern).
Die Ansprache und Vernetzung von Unternehmen zur Unterstützung von bedarfsgerechten Betreuungsangeboten für Mitarbeiter*innen mit Kindern in der Kommune.
Ein Blick nach Italien zeigt, wie dies in der Praxis umgesetzt werden kann: In italienischen Städten gibt es seit vielen Jahren Zeitbeauftragte/Zeitbüros, die dort dafür sorgen, dass Öffnungs-, Arbeits-, ÖPNV-Zeiten und Zeiten für Schulbeginn und Laden- und Praxisöffnungen sowie die Arbeitszeiten der Verwaltung in den Städten und in der Umgebung besser abgestimmt werden. Darüber hinaus wird eine zeitorientierte Raumordnung angestrebt, d.h. städtebauliche Maßnahmen sollen darauf ausgerichtet sein, Menschen aller Altersstufen eine schnelle und sichere Erreichbarkeit von öffentlichen Einrichtungen, Handels- und Dienstleistungsbetrieben zu ermöglichen.
Im italienischen Gesetz zu familienunterstützenden Maßnahmen heißt es zur Zeitpolitik (Art. 5):
(1) Unter Zeitpolitik versteht man die Verbesserung der Lebensqualität für die Bürger – mit besonderer Berücksichtigung der Familien – durch gezielte Maßnahmen bei der Regulierung der Zeitabläufe und der räumlichen Organisation, welche den Alltag bestimmen (...)
(2) Ziel ist es, Familien mit verschiedenen Zeitmodellen den Zugang und die Inanspruchnahme von öffentlichen und privaten Diensten zu erleichtern und die Nutzung der öffentlichen Flächen zu verbessern. Ein besonderes Augenmerk gilt den Arbeits- und Schulzeiten als zentraler Taktgeber und Zeitnehmer, sowie dem öffentlichen Transportwesen.
Das Familienministerium des Landes Rheinland-Pfalz hat hierfür den Leitfaden „Mehr Zeit für Familien“ entwickelt, der den Kommunen anhand mehrerer Fallbeispiele wichtige Hinweise zur Umsetzung zeitpolitischer Ansätze liefert:
Auch in Aachen, Bremen, Hamburg, Hanau, Flensburg und weiteren Städten wurden bereits zeitpolitische Experimente durchgeführt. Was entsprechende Strukturen in diesem Bereich bewirken können, kann in folgender Broschüre nachgelesen werden, in der gelungene Beispiele für zeitpolitische Maßnahmen aus Südtirol aufgeführt sind, wo dieser Politikbereich schon seit längerem institutionalisiert ist:
Kommunale Zeitpolitik muss partizipativ ausgestaltet sein. Die Organisation von Beteiligungsprozessen, insbesondere regelmäßige Beteiligungsrunden - koordiniert durch kommunale Zeitbeauftragte - sind wichtig, um die sehr unterschiedlichen zeitlichen Bedürfnisse sowie potentiellen Zeitkonflikte innerhalb der Bevölkerung sowie innerhalb unterschiedlicher Nutzer*innengruppen zu erfassen.
Die Stelle einer Zeitbeauftragten kostet die Kommune nicht viel, bringt aber den enormen Vorteil, dass die Taktung unterschiedlicher Zeitgeber besser koordiniert und aufeinander abgestimmt werden können. Wir wollen die Kommunen anhalten, eine solche Stelle zu schaffen, ohne sie hierzu zu verpflichten. Denn der Blick in andere Länder (Italien, z.T. auch in Frankreich) bzw. andere Bundesländer (NRW / Rheinland-Pfalz) lohnt sich oft, um gute Beispiele auch bei uns umzusetzen. Wichtig ist hierbei, dass die Stelle in der Hierarchie der kommunalen Verwaltung relativ hoch angesiedelt wird, damit sie ressortübergreifend handeln kann, denn Zeitpolitik ist ein Querschnittsthema!
Studie der Prognos AG „Zeit für Familien in Rheinland-Pfalz“:
Unterstützer*innen
- Denise Loop (KV Dithmarschen)
- Carola Köster-Wiens (KV Lübeck)
- Gazi Freitag (KV Kiel)
- Nadine Mai (KV Pinneberg)
- Christina Birnbacher (KV Stormarn)
- Sven Gebhardt (KV Flensburg)
- Marlene Langholz-Kaiser (KV Flensburg)
- Uta Röpcke (KV Hzgt Lauenburg)
- Selma Beck (KV Kiel)
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